„Ich war 6 Jahre alt, als wir nach Erfurt zogen. […] Es ging uns sehr gut. Lotte und ich wuchsen heran und in dem Alter, wo man aufhört, Kind zu sein, kam Hitler und mit ihm Zerstörung, Not und Elend.“ Marion Feiner, die sich nach ihrer Auswanderung Miriam nannte und später den Nachnamen Liv trug, schrieb diese Zeilen in ihrem letzten Tagebuch-Eintrag im September 1939 in Palästina. Dem Tagebuch und dem Schicksal der jüdischen Familie Feiner widmet sich seit dem 3. Mai 2023 eine Ausstellung im Erinnerungsort Topf & Söhne.

Ausstellung im Erinnerungsort Topf & Söhne blickt auf das Schicksal der jüdischen Familie Feiner

Das Tagebuch von Marion Feiner ist ein außergewöhnliches Zeugnis der Shoah und des Aufbruchs in ein neues Leben in Palästina. Es befindet sich heute in der Sammlung der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem – Marions Tochter Dalia hatte es übergeben. Auf Initiative des Freundeskreises Yad Vashem e. V. wird das Tagebuch in diesem Jahr im Bundestag, im Unesco-Welterbe Zollverein Essen und nun in Erfurt gezeigt. „Der Wunsch war immer, dass die Objekte an ihren Ursprungsort zurückkehren“, sagt Ruth Ur, Geschäftsführerin des Freundeskreises Yad Vashem e. V. „Erfurt ist nach der Ausstellung in Berlin der erste Ort, an dem dieser Traum in Erfüllung geht.“ Der Kulturbeigeordnete Dr. Tobias Knoblich hatte das Tagebuch bereits zu Jahresbeginn in Berlin erlebt. „Wir sind sehr berührt von dieser Entdeckung“, so Knoblich. „In einer Zeit, in die die eigentliche Erlebnisgeneration ausstirbt, ist es umso wichtiger, die Quellen zu erhalten.“

Mit privaten Fotos und persönlichen Unterlagen aus dem Familienbesitz zeichnet die Ausstellung im Erinnerungsort Topf & Söhne ein anschauliches Bild der Geschichte der Familie Feiner. Ihr Schicksal steht exemplarisch für die jüdische Bevölkerung Erfurts als Teil einer vielfältigen Stadtgesellschaft und deren Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung im Nationalsozialismus. „Die Familie Feiner wohnte nur wenige Hundert Meter vom Erinnerungsort entfernt, in der heutigen Klausener Straße 11“, so Oberkuratorin Dr. Annegret Schüle. „Ihre Geschichte ist damit nicht nur Teil der Stadt, sondern auch des Stadtviertels.“

Miriam Liv pflegte ab Ende der 90er Jahre Brieffreundschaften nach Erfurt. „Es war ihr wichtig, dass man aufklärt“, so Schüle. „Wir sehen uns als Einrichtung, die diesen Wunsch erfüllt.“ Das Tagebuch soll vor allem als Bildungsobjekt gegen Antisemitismus heute dienen und jungen Menschen eine Erfahrungsgeschichte von Menschen gleichen Alters zugänglich machen.

Foto: Miriam Ziv, geborene Marion Feiner, 1945 in Palästina/Familie Ziv

Wer war Miriam Feiner?

Geboren wurde Miriam Feiner als Tochter von Joseph und Adele Feiner am 10. Dezember 1921 in Berlin. Seit 1928 lebte die Familie in Erfurt. Ihr Tagebuch begann sie an ihrem 14. Geburtstag am 10. Dezember 1935. Es begleitete sie beim Erwachsenwerden in einer Zeit, die geprägt war von Alltagsantisemitismus, dem Berufsverbot des Vaters und dem Verlust der Eltern. Sie vertraute ihrem Tagebuch an, wie ihr jüdischer Freundeskreis, ihre zionistische Jugendgruppe und ihre Freude an Sport und Kultur ihr halfen, sich zu behaupten und sich vor der Verfolgung zu retten. Anfang 1938 wanderte die 16-jährige Marion nach Palästina aus, kurz nach ihrer zwei Jahre älteren Schwester Charlotte, die sich dort Jael nannte.

Ihren Eltern Joseph und Adele Feiner wurde die Einreise nach Palästina verwehrt. Sie wurden am 28. Oktober 1938 in der so genannten „Polenaktion“ aus Deutschland ausgewiesen. Die Massenabschiebung nach Polen betraf 17.000 Jüdinnen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit, darunter etwa 100 Erfurterinnen und Erfurter. Mühsam hielten die Eltern in Lwów und die Kinder in Palästina Kontakt über Postkarten. Ende Juni 1941 besetzten die Deutschen Lwów und ermordeten fast alle dort lebenden Jüdinnen und Juden. Unter den rund 120.000 Opfern waren Joseph und Adele Feiner. Miriam Liv starb am 5. Mai 2012.

Quelle: Pressemitteilungen der Landeshauptstadt Erfurt