Durch genetische Untersuchungen ist ein weiteres Puzzlestück zum Bild des mittelalterlichen Gemeindelebens in Erfurt dazugekommen.

Ausgrabungen liefern spektakuläre Ergebnisse für Forschungswelt

 

2013 wurden bei einer Rettungsgrabung des Thüringer Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie (TLDA) auf dem mittelalterlichen jüdischen Friedhof in der Moritzstraße die Gräber von ganzen Familien freigelegt. Zum Zeitpunkt der Grabung wurde dort mit schwerem Baugerät mit dem Umbau des Kornhofspeichers in ein Parkhaus begonnen. Die außerhalb des Gebäudes geplante Auffahrtsrampe hätte den dicht belegten Friedhof zerstört. „Im jüdischen Glauben ist die Totenruhe für ewig, daher dürfen Gräber nicht angetastet werden“, erklärt Dr. Katrin Sczech, damals noch beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, heute Unseco-Beauftragte der Stadt Erfurt. „Es handelte sich um keine Forschungsgrabung. Die Grabung wurde notwendig, weil bei den Bauarbeiten die ersten Skelette freigelegt worden waren. Wir haben dann in enger Abstimmung mit der Jüdischen Landesgemeinde entschieden, dass wir nur die Gräber bergen, die bei den Bauarbeiten unmittelbar zerstört worden wären.“ 47 Bestattungen wurden ausgegraben. Dadurch war es erstmals möglich, die dort bestatteten Menschen näher kennenzulernen. Ein internationales Team aus Historikern, Archäologen, Anthropologen und erstmals auch Genetikern waren an dem Projekt beteiligt und stellen nun ihre Ergebnisse in internationalen Publikationen vor.

Die Untersuchungen ergaben, dass der Friedhofsbereich vermutlich zur Zeit der neu gegründeten Gemeinde nach 1453 angelegt wurde. Die mit Spannung erwarteten genetischen Untersuchungen belegen, dass zwei Familien und deren Mitglieder nebeneinander bestattet wurden: Ein Vater und seine (erwachsene) Tochter, die unmittelbar nebeneinander lagen, sowie eine Mutter und ihre beiden Kinder, zwischen denen nur ein bis zwei weitere Bestattungen lagen. „Man hat offensichtlich in Familienverbänden bestattet und das ist einige Neuigkeit, die wir auf anderem Weg nicht herausgefunden hätten“, so Sczech. „Es gab bis dato Ideen, dass man nach Männern und Frauen gruppiert hat oder der Reihenfolge des Todes nach bestattet hat, aber das konnte nun ausgeschlossen werden.“

Erfurt ist damit die Blaupause für solche Untersuchungen

 

Weiteres überraschendes Ergebnis: „Wir haben unterschiedliche Gruppen in dieser relativ geringen Bevölkerung, die beprobt wurde“, so Szech. Die Herkunft der beprobten Bestattungen lässt sich hauptsächlich aus zwei Regionen bestimmen: Neben Mitteleuropa wurde auch eine Gruppe aus dem Osten (Polen, Tschechien) näher beschrieben. Das deckte sich auch mit den mittelalterlichen Steuerlisten. Denen war zu entnehmen, dass viele Mitglieder der zweiten Gemeinde nach 1453 aus den östlichen Gebieten des Reichs nach Erfurt kamen. Aufschluss gab aber letztlich die Auswertung der Nahrungsaufnahme – über eine Spurenelementanalyse an 33 Zähne aus 47 Bestattungen. Dadurch lässt sich die Herkunft noch genauer bestimmen. So konnte bei den beiden Familien belegt werden, dass die Eltern aus dem Osten kamen, die Kinder aber bereits in Erfurt aufwuchsen. „Es handelt sich dabei um die ersten Mitglieder der zweiten jüdischen Gemeinde. Das ist das für uns und die Forschungswelt spektakuläre Ergebnis.“, sagt Szech. „Wir konnten diese Untersuchungen durchführen, andere internationale Forschungsgruppen nicht. Erfurt ist damit die Blaupause für solche Untersuchungen, die uns in Zukunft noch sehr viel weiter bringen können – vor allem, was die Wanderungsbewegungen betrifft. Darüber gab es immer nur Theorien.“

Die Ergebnisse des Projekts werden erstmals in der Fachzeitschrift Cell publiziert. Auch in der renommierten Publikation „Science“ erschien dazu ein wissenschaftlicher Artikel. Die New York Times veröffentlichte ebenfalls einen umfangreichen Beitrag zu den Untersuchungen in Erfurt.

 

Quelle: Pressemitteilungen der Landeshauptstadt Erfurt