Beharrlicher Streiter für die Erfurter Kultur, Ermöglicher und Visionär
Für viele Erfurterinnen und Erfurter war Volker Nienstedt aus dem Stadtbild nicht wegzudenken – ob Kaffee trinkend im „Hilgenfeld“, gestaltend bei der Sommerkomödie oder diskutierend im Stadtrat. Nienstedt verfolgte dabei das Ziel, Erfurts lebendiger Kulturlandschaft Räume zur Entfaltung zu geben, sie als Kulturschaffender aber auch selbst zu bereichern. Er begriff die Stadt als lebendigen Organismus – Kunst und Kultur als ihre Seele.
Als Sohn eines Opernsängers kam Nienstedt 2010 nach Erfurt, mit einem großen Rucksack an Lebenserfahrung: Mitarbeiter der Suchthilfe, Trainer bei Microsoft, Hausbesetzer, Taxifahrer – die Bandbreite war groß, ebenso sein Engagement für eine vielfältige Kultur in Thüringens Landeshauptstadt. Sein erstes Projekt in Erfurt war die „Süße Ecke“, ein bis dahin leerstehendes Gebäude zwischen Rathausparkplatz und Gera. Er schuf einen kulturellen Ermöglichungsraum – von Clueso bis experimentelle Jazzkombo – jeder und jede fand hier einen Platz, für die eigene Kunst oder zum Kulturgenuss.
Nach Beendigung dieses Experimentes formte Nienstedt aus einem ebenso leerstehenden Gebäude – mitten in Erfurts mittelalterlichem Stadtkern – eine der beliebtesten und authentischsten Kneipen Erfurts, den „Speicher“. Als Bar, Ausstellungsfläche und Bühne wurde der Ort zum Treffpunkt für Erfurter wie Touristen, Jazzer oder Hip-Hopper, Jung und Alt.
Aber dem nicht genug: Als Erfurts Sommerkomödie – mit langjähriger Tradition in der Kulisse der Barfüßerruine – zu kentern drohte, erfand Nienstedt das beliebte Freilufttheater mit einem jungen Team neu. Er entwickelte hier, in Zeiten der Corona-Pandemie und mit hohem wirtschaftlichen Risiko, das „Pandemistische Gartentheater“, auch um Kulturschaffenden zusätzliche Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen.
„Immer kam er mit seinem Fahrradkörbchen zu mir ins Dezernat, kurz, zielorientiert, humorvoll“, so Kulturdezernent Dr. Tobias J. Knoblich. „Aber er konnte auch hart diskutieren, über die Ortsgestaltungssatzung und ihre ökologischen Schranken etwa. Seine Offenheit, Direktheit und zugewandte Art haben mich für ihn eingenommen, ich war ihm freundschaftlich verbunden. Noch vor Weihnachten haben wir in Anbetracht seiner gesundheitlichen Lage über die Sicherung der Sommerkomödie gesprochen: sie kann als sein Vermächtnis auch künftig einen festen Platz in der Erfurter Kulturpolitik beanspruchen. Volker wird mir sehr fehlen. Seine Inspiration indes wird an vielen Stellen dieser Stadt spürbar bleiben, wenn wir über ihn reden, an ihn denken und seine Impulse aufgreifen.“
Mit seinem Tatendrang und Durchsetzungsvermögen war er Vorbild für viele Kulturakteure in Erfurt. Einfach machen, probieren, sich über Grenzen hinwegsetzen, Kontroversen aushalten – Volker Nienstedt war ein streitbarer Geist, mit Herz und Verstand. Der Vater von drei Kindern war ein umtriebiger Netzwerker, leidenschaftlicher Förderer der Kultur und sah da Potenziale und Talente, wo andere sie nicht sahen! Dieser Tatendrang und dieses wilde Herz werden Erfurt fehlen, sein kulturelles Erbe wird bleiben.
Quelle: Aktuelle Meldungen der Landeshauptstadt Erfurt