Eigentümer der alten Parteischule erhält höchste deutsche Auszeichnung für Denkmalschutz
Umstrittenes Bauerbe schreibt denkmalpflegerische Erfolgsgeschichte
Die Landeshauptstadt Erfurt darf sich mit dem Preisträger freuen: Nicht nur, dass sich mit einem der Bildungs- und Wissenschaftszentren der Bundesfinanzverwaltung eine weitere Bundesinstitution in der Stadt ansiedelte und die Werner-Seelenbinder-Straße dauerhaft aufgewertet wird – die Sanierung ist auch eine denkmalpflegerische Erfolgsgeschichte, wie die neuerliche Preisvergabe belegt. Möglich wurde sie, weil Andreas Müller, Investor mit einem Faible für 70er-Jahre-Ambiente, mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und Generalzolldirektion aufgeschlossene und verständige Mieter bzw. Dauernutzer fand.
Neben dem renommierten Architekturbüro Behzadi + Partner war auch die städtische Denkmalpflege von Anfang an mit im Boot. Für Abteilungsleiter Dr. Mark Escherich steht das Projekt beispielhaft für einen sehr angemessenen Umgang mit dem Bauerbe der späten Nachkriegszeit im Allgemeinen. „Zwar wird solche Architektur immer häufiger als ,historisch‘ anerkannt, Abriss und Neubau aber trotzdem oft vorgezogen“, erläutert Escherich. „Immer noch gibt es Vorurteile: Die Bauten dieser Zeit – noch dazu in Ostdeutschland – haben einen schlechten Ruf und ihre Sanierungsmöglichkeit wird schnell in Frage gestellt. Herr Müller und seine Bauleute haben eindrucksvoll gezeigt, welches Potenzial die oft wenig angesehenen DDR-Bauten entfalten können.“
Im Juni 2024 wurde das Projekt bereits mit dem Thüringer Denkmalschutzpreis ausgezeichnet.
Gebäudekomplex als „Zeitkapsel“
Dabei galt der heute lebendige Lern- und Geschichtsort „Alte Partei-, neue Zollschule“ lange als heikles und umstrittenes Erbstück: Von 1969 bis 1972 als Internatsschule für die Kaderbildung der SED im Bezirk Erfurt erbaut und bis 1990 als solche betrieben, nutzte sie das Land Thüringen danach vor allem als Interim für die neu gegründete Fachhochschule. Zunehmend in den Nullerjahren zog in den aus Lehr- und Internatsgebäuden bestehenden Komplex ein bunter Nutzungsmix ein: Tagungen, Konzerte, Discos, Flohmärkte, kurzes und langes Wohnen sowie diverse andere Einmietungen machten den Ort zu einem offenen Haus und ließen ihn zunehmend in einem neuen Licht erscheinen. Die pragmatische Weiternutzung erforderte fast keine Veränderungen. Selbst Leuchter, Tapeten, Vorhänge, Mobiliar und sogar Essbesteck der Mensa waren zu großen Teilen geblieben. In Anbetracht des anderswo rasanten Verschwindens von DDR-Gegenständen war hier der Eindruck einer regelrechten „Zeitkapsel“ entstanden.
Ein regelrechter Glücksfall für die Umnutzung zum Zoll-Bildungs und Wissenschaftszentrums war, dass dessen Raumanforderungen fast identisch mit dem Bestand waren. Die erheblichsten Veränderungen brachte der Zubau von fast 130 Schülerappartements, für die sehr verträgliche Stellen am Komplex gefunden werden konnten. So bekam der rückseitige Seminarflügel einen Verlängerungsanbau und eine dezente Aufstockung. Gewahrt blieb die skulpturale Großform aus flachen Gebäuderiegeln und Vertikalakzenten, um die herum entstehungszeitlich eine anspruchsvolle Parkanlage – unter anderem mit opulenter Springbrunnenkaskade – angelegt worden war.
Überdurchschnittlich viel konnte auch von den Gebäuden selbst erhalten und instandgesetzt werden. Behutsam aufgearbeitet wurden z. B. Fassadenoberflächen unterschiedlichster Art, darunter facettierte Betonformformelemente, Email- und Aluminiumelemente, Attikaverkleidungen aus Kunststoff bis hin zu schlichten weiß gefassten Betonelementen, wodurch viel historische Aura erlebbar blieb. Die bewahrte Gesamtwirkung setzt sich im Inneren fort: In den Kernbereichen – im Foyer, in der Mensa oder im Klubraum „Vilniuszimmer“ – wurden die Oberflächen und Teile des Mobiliars liebevoll aufgearbeitet. Im Audimax wurde das originale Gestühl nur leicht angepasst, um Forderungen des Brandschutzes, der Rollstuhlgerechtigkeit und des Lehrbetriebes des „Bildungs- und Wissenschaftszentrums“ gerecht zu werden. Fast 500 Zollschüler absolvieren hier jedes Semester ihre theoretische Ausbildung. Zusätzlich stehen ihnen vielfältige Flächen für Freizeit- und Sportaktivitäten zur Verfügung, die in den nächsten Jahren noch um einen Sporthallenbau ergänzt werden.
Demnächst beginnt die Wiederherstellung des denkmalgeschützten Parks zwischen dem Gebäudekomplex und der Werner-Seelenbinder-Straße, wofür Andreas Müller Denkmalfördermittel des Landes Thüringen und des Bundes als Anteilszuschuss genehmigt wurden. Die breite Treppenanlage mit begleitender Springbrunnenkaskade wurde bereits wiederhergestellt – einschließlich der für die 70er Jahre typischen opulenten Wasserfontänen.
Quelle: Pressemitteilungen der Landeshauptstadt Erfurt