Die Waagegasse in Erfurt

Gewogen wurde woanders

 

 

 

Wer heute durch die Waagegasse in der Erfurter Altstadt läuft oder fährt tut dies meist freiwillig. Zumindest gibt es keine Vorschrift die besagt, daß irgendjemand sich genau hier einzufinden hat und kostenlos ist der Durchgang allemal.

Dies gilt auch für Waren. Nürnberger Lebkuchen, die in Nordhausen verkauft werden sollen, Wasser aus der Glockengasse 4711 in Köln, bestimmt für Perfümläden in Kiew- keine dieser Produkte muß in unserer Zeit durch die Waagegasse transportiert werden. Ein heutiger LKW würde da auch nicht durchkommen:

Blick in die Waagegasse in der Altstadt von Erfurt

Zur Zeit des Mittelalters, wir ahnen es schon, ist das anders. Händler können ihre Waren weder einfach so durch Erfurt fahren, noch dürfen sie Erfurt umfahren. Es gibt nur einen Weg und der führt durch – die Waagegasse.

Dafür sorgt der Straßenzwang – einfach um die Stadt herum fahren ist nicht. Die solchermaßen in die Waagegasse gelenkten, sehen sich dann mit dem Stapelrecht konfrontiert, welches auszuüben die Stadt Erfurt berechtigt ist.

Eine Tafel an einem mittelalterlichen Speicherhaus zum Stapeln der Waren

Konkret passiert dann Folgendes: Alle Waren müssen abgeladen, gewogen und für eine gewisse Zeit vor Ort zum Verkauf angeboten werden. Umsonst sind diese „Dienstleistungen“ der Stadt Erfurt nicht. Das Alles kostete zudem Zeit und auch Planungssicherheit: Finden Erfurter gefallen an den so angebotenen Waren, bleiben diese erstmal in Erfurt.

Mögliche Kunden außerhalb gehen leer aus. Aber vielleicht werden diese dann von Erfurter Kaufleuten beliefert?!

Tor eines mittelalterlichen Speichers in der Waagegasse Erfurt

Aus heutiger Sicht ist klar: Das war institutionalisierte Wegelagerei und die Waagegasse der Tatort.

Gewogen wurde allerdings woanders. Die Waagen selbst standen in der Michaelisstraße. Dort gab es große und kleine Waagen, für verschiedene Waren. Der Name Waagegasse leitet sich also von der Funktion als Zubringerstraße zu den Waagen ab.

Eingang in die Waagegasse von der Michaelisstraße in der Altstadt Erfurt

Fazit:

Die Waagegasse ist pures Mittelalter: Die Enge der Gasse, das Kopfsteinpflaster und die Gebäude – hier zeigt sich das alte Erfurt.

Sichtbare Spuren dieser geschäftigen Zeit finden sich noch heute an den „Kratzsteinen“: Diese schützten die Gebäude vor den Achsen der Fuhrwerke, wenn diese durch die enge Gasse ratterten.

Ein Kratzstein in der Waagegasse Erfurt